Arzthaftungsrecht / Behandlungsfehler
Service
- Umfassende Beratung zu Behandlungsfehlern, Patientenschutz und Arzthaftung
- Medizinische Behandlungsfehler
- Ermittlung und Durchsetzung von Schadenersatz & Schmerzensgeld, sowie von Erwerbs- und Haushaltsführungsschaden
- Verhandlungen zur Erzielung einer außergerichtlichen Einigung
- Durchsetzung vor Gericht
- Patientenrechte
Ausgewählte Themen und Rechtsprechung
Zahl der medizinischen Behandlungsfehler pro Jahr in Deutschland
Offizielle, zentral erfasste Statistiken zu Behandlungsfehlern in Deutschland existieren bisher nicht. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, weil
- es keine gesetzliche Garantie einer sanktionsfreien und pseudonymisierten Meldung von Schadensereignisse durch Gesundheitsfachkräfte gibt
- Geschädigte oder deren Angehörige zwar Fehler vermuten, diese aber aus Unwissenheit nicht melden bzw nachprüfen
- Geschädigte oder deren Angehörige aus Angst vor Auseinandersetzungen eine Meldung vermeiden
Schätzungen gehen davon aus, dass jedes Jahr 160.000-170.000 Patienten Schäden durch Fehler erleiden und 17.000-19.000 Todesfälle aufgrund von Behandlungsfehlern vermeidbar sind. Das entspricht dem sechsfachen Jahreswert von Todesfällen im Straßenverkehr. Die Behandlungsfehler betreffen vor allem chirurgische Eingriffe, Zahnmedizin, Innere Medizin und Gynäkologie/Geburtshilfe. Andere Schätzungen gehen mehr als 800.000 durch vermeidbare Behandlungsfehler geschädigten Patientinnen und Patienten aus. Die Kosten für erneute Eingriffe, Invalidität, Pflegebedürftigkeit oder gar Tod werden auf 15 Prozent der Krankenhauskosten geschätzt – das entspricht einem Betrag von 15 Milliarden Euro.
Begutachtungen durch die Medizinischen Dienste der Bundesländer
Die Medizinischen Dienste auf Landesebene führen Begutachtungen für Kranken- und Pflegekassen durch, prüfen Leistungsanträge von Versicherten und kontrollieren die Einhaltung von Qualitätsstandards in Krankenhäusern.
Bei der Begutachtung von Behandlungsfehlern durch den Medizinischen Dienst fallen für die (gesetzlich versicherten) Patienten keine Gebühren an, da dies Teil der Kassenleistungen ist. Die Krankenkassen beauftragen und bezahlen die Gutachtenerstellung.
Die Gutachterinnen und Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den der Versicherte erlitten hat, durch den Fehler verursacht worden ist.
Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes zur Begutachtung von Behandlungsfehlern
Der Medizinische Dienst Bund (MDB) hat im Jahr 2024 bundesweit 12.304 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In jedem 4. Fall (3.301 Fälle) stellten die Gutachterinnen und Gutachter einen Behandlungsfehler mit Schaden fest. In jedem 5. Fall (2.825 Fälle) war der Fehler ursächlich für den erlittenen Schaden.

Begutachtung der 12.304 vorgeworfenen Fälle. Quelle: Medizinischer Dienst
Bei der Begutachtung prüfen die Gutachterinnen und Gutachter, ob ein Fehler vorliegt, der einen Schaden verursacht hat.
Milliardenkosten für das Gesundheitssystem
Unsichere Versorgung hat nicht nur Folgen für die geschädigten Patientinnen und Patienten, weil sie unnötiges Leid verursacht und erneute Operationen und Nachbehandlungen notwendig sind, sondern sie kosten das Gesundheitssystem Milliarden Euro.
Wie auch der Jahresbericht des MDB festhält, wäre eine wichtige Maßnahme die Verpflichtung der Ärztinnen und Ärzte und anderer Gesundheitsfachkräfte, Patientinnen und Patienten umgehend über schiefgelaufen Behandlungen zu informieren. Eine systematische Präventionsmaßnahmen gehört auch ein obligatorisches, sanktionsfreies Meldesystem für vermeidbare Schadensereignisse.
In der Jahresstatistik 2024 stuften die Gutachterinnen und Gutachter des Medizinischen Dienstes 134 Fälle (2023: 151) als sogenannte Never Events ein. Dazu gehören schwerwiegende Medikationsfehler, unbeabsichtigt im Körper zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen oder Verwechslungen von Patientinnen und Patienten, die zu schweren Schäden führen können. Immer wieder stellt der Medizinische Dienst in seinen Gutachten die gleichen folgenschweren Fehler fest. Eine funktionierende Fehlerkultur muss die verbindliche Meldung und Aufklärung umfassen, damit die Fehler begünstigenden Strukturen geändert werden können.
Never Events und Sanktionsfreies Meldesystem
Never Events sind für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig und werden daher bereits in vielen Ländern erfolgreich für die Prävention genutzt. In Deutschland steht eine Umsetzung nach wie vor aus. International anerkannte Konzepte zur systematischen Fehlervermeidung sollten auch in Deutschland eingeführt werden. Die Meldung von Never Events dient ausschließlich der Verbesserung der Patientensicherheit. Sie muss für die Gesundheitsfachkräfte, die Schadensereignisse melden, sanktionsfrei und pseudonymisiert erfolgen. Das muss gesetzlich garantiert sein.
Verteilung der Fehlervorwürfe auf Fachgebiete
In der aktuellen Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes beziehen sich zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (7.960 Fälle). Ein Drittel bezog sich auf den ambulanten Bereich (4.312 Fälle). 29,8 Prozent der Vorwürfe (3.664 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie; 11,5 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.402 Fälle); 8,9 Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.097 Fälle); 8,4 Prozent die Zahnmedizin (1.040 Fälle) und 7,9 Prozent die Allgemein- und Viszeralchirurgie (971 Fälle). 6,7 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf Pflege (827 Fälle).

Verteilung der Vorwürfe auf die Fachgebiete (gruppiert), Quelle: Medizinischer Dienst
Digitalisierung und Telemedizin – Neue Herausforderungen für das Arzthaftungsrecht
Mit den gesetzlichen Neuerungen zur Telemedizin (§ 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung der Ärzte) ist die Fernbehandlung per Video oder Telefon inzwischen fest im Alltag vieler Praxen und Kliniken verankert. Diese Entwicklung bringt vor allem neue Dokumentationspflichten mit sich: Jede telemedizinische Beratung und Diagnose muss detailliert, nachvollziehbar und nachvollziehbar im Patientendossier erfasst werden.
Zudem fordert die Rechtsprechung einen besonders sorgfältigen Umgang beim Einsatz digitaler Diagnostikverfahren und Medizintechnik. Ärzte haften mittlerweile auch verstärkt für Fehler, die aus mangelhafter technischer Ausbildung oder unsachgemäßer Bedienung von Geräten resultieren. Eine regelmäßige und verpflichtende Fortbildung zum digitalen Gesundheitswesen dient dazu, Haftungsrisiken zu minimieren.
Aufklärungspflichten werden präzisiert und erweitert
Das Recht auf eine informierte Einwilligung (Informed Consent) steht weiterhin im Mittelpunkt arztrechtlicher Haftungsfragen. Patienten müssen nicht nur über Risiken und Nebenwirkungen einer Behandlung aufgeklärt werden, sondern zunehmend auch über alternative Behandlungsmethoden, Kostenübernahmen und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Diagnostik und Therapie.
Neu ist zudem die gesetzliche Vorgabe, Patientenaufklärungen in einer für den Patienten verständlichen Sprache zu führen. Dies beinhaltet bei Bedarf auch den Einsatz von Übersetzungsdiensten oder Dolmetschern, was insbesondere in urbanen Regionen mit multikultureller Patientenstruktur zunehmend relevant wird.
Fehlende oder unzureichende Aufklärung führt weiterhin zu Haftungsansprüchen, die von Schmerzensgeld bis zur Schadenersatzzahlung reichen können.
Sekundäre Darlegungslast bei Hygienemängeln
Der Bundesgerichtshof und die Oberlandesgerichte haben die Sekundäre Darlegungslast bei Hygienemängeln zu einem festen Bestandteil der Rechtsprechung zur Waffengleichheit im Arzthaftungsprozess gemacht:
Urteil vom 24.11.2020 (Az. VI ZR 415/19)
Trägt ein Patient substantiierte Vorwürfe zu einem Hygieneverstoß vor, muss der Arzt detailliert nachweisen, welche Maßnahmen zur Einhaltung der Hygienevorschriften getroffen wurden. Die behandlungsverantwortliche Seite muss darlegen, welche allgemeinen und konkreten Maßnahmen zur Einhaltung der Hygienevorgaben und zur Infektionsprävention ergriffen wurden. Die Einrichtungen oder Ärzte verfügen über Informationen zu Hygieneplänen, Reinigungsmaßnahmen, Einweisungen und Kontrollmechanismen usw., auf die der Patient keinen Zugriff hat. Das Gericht verlangt dabei keine überhöhten Anforderungen an die Konkretisierung der Patientenvorwürfe, sondern maßvolle Anforderungen an den Vortrag, der die Vermutung eines Hygienefehlers plausibel erscheinen lässt.
Chefarzt darf sich nicht ohne Grund durch anderen Arzt ersetzen lassen
Zur persönlichen Erbringung vereinbarter Wahlleistungen durch den Chefarzt hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Wahlleistungsvereinbarung mit dem Inhalt, dass wahlärztliche Leistungen ohne besondere Bedingungen durch einen anderen Arzt als Vertreter des Wahlarztes ausgeführt werden, nichtig ist.
Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März 2025 (Az. III ZR 40/24).
Ist in einer Wahlleistungsvereinbarung mit einem Patienten ausdrücklich die persönliche Leistungserbringung durch den gewählten Wahlarzt – zum Beispiel den Chefarzt – vereinbart und diese nur im Fall der tatsächlichen Verhinderung an einen ständigen Vertreter delegierbar, darf eine Operation durch einen anderen Arzt als den Wahlarzt ohne vorherige ausdrückliche Zustimmung des Patienten und ohne konkreten Verhinderungsfall nicht durchgeführt werden. Eine pauschale Vertretungsregelung, die ohne besonderen Grund durchgeführt wird, verstößt gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und und ist gemäß § 134 BGB nichtig. Ein Anspruch auf das zusätzliche Wahlarzthonorar besteht nicht.
Organisatorische Haftung für Fahrlässigkeit
Krankenhäuser und Praxen können auch für fahrlässige Mängel bei der Dienstplanung, Aufklärung und Dokumentation haften. Die Haftung für organisatorische Fehler ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), s. etwa Urteil vom 15. Mai 2025 (Az. III ZR 417/23). Dort wurde klargestellt, dass Krankenhäuser und Praxen für fahrlässige organisatorische Mängel bei internen Abläufen, Dienst- und Vertretungsplänen sowie der Umsetzung der Aufklärungspflicht vollumfänglich haften.
“Bei einer schuldhaft groben Vernachlässigung von Amtspflichten in Bezug auf einen Rettungsdiensteinsatz durch den Disponenten einer Rettungsleitstelle muss die für ihn haftende Körperschaft regelmäßig die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen”
Der BGH betont, dass Fehler nicht nur bei der medizinischen Behandlung, sondern auch bei der Organisation und Struktur des Gesundheitsträgers zum Haftungsgrund führen können. Diese Haftung greift gemäß den Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung immer dann, wenn der Gesundheitsträger versäumt, organisatorische Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die für die Patientensicherheit oder Aufklärung maßgeblich sind.
Zu erwartende gesetzliche Neuerungen
Diverse Reformen und Gesetzesanpassungen sind in Vorbereitung, darunter die Umsetzung EU-weiter Vorgaben zur Produkthaftung bei Medizinprodukten einschließlich KI, Verschärfungen im Datenschutz sowie Anpassungen im Berufsrecht der Ärzte, Patientenrechte und digitalen Patientenakten, deren sichere und datenschutzkonforme Handhabung künftig zentrale Haftungsthemen sein werden.
Die außergerichtlichen Einigungsmöglichkeiten sollen ausgebaut und die Patientensicherheit gestärkt werden.
Umsetzung EU-weiter Vorgaben zur Produkthaftung bei Medizinprodukten & KI
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und KI-Nutzung im Gesundheitswesen wird die Haftung für Medizinprodukte angepasst:
- Die EU-KI-Verordnung (AIA) stuft KI-basierte Medizinprodukte-Software in der Regel als Hochrisiko-KI ein, wodurch strengere Dokumentations-, Transparenz- und Konformitätsanforderungen gelten.
- Für Hersteller ergibt sich die Pflicht, Nutzerdaten offenzulegen und umfangreiche Auskunft zu Leistungsdaten und etwaigen Problemen zu gewährleisten.
- Besonders bei KI-Komponenten, die sicherheitsrelevante Funktionen übernehmen, greifen neue Vorgaben für die Produktsicherheit und Risikobewertung schrittweise ab 2025 und umfassender ab 2027, um Überschneidungen mit bestehendem Medizinprodukterecht (MDR) zu vermeiden.
Verschärfungen im Datenschutz
Mit der verpflichtenden Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) wird der Datenschutz deutlich verschärft:
- Medizinische Einrichtungen müssen gewährleisten, dass sämtliche digitale Systeme (insbesondere im Zusammenhang mit der ePA und Telematikinfrastruktur) höchsten Datenschutz- und IT-Sicherheitsanforderungen entsprechen.
- Es gelten strenge DSGVO-Anforderungen für Speicherung, Verarbeitung und Zugriff auf besonders schützenswerte Gesundheitsdaten.
- Patienten erhalten mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeiten über ihre Gesundheitsdaten, während zugleich die Pflicht zur Information und Dokumentation bei Datenverarbeitung steigt.
Downloads: Dokumente des MDB