1. EU-Fluggastrechteverordnung 2. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 3. Fluggastrechte 4. Flugannullierung 5. Flugverspätung 6. Nichtbeförderung 7. Überbuchung 8. Ausgleichszahlung 9. Entschädigung 10. Betreuungsleistungen

Fluggastrechte - und ihre Reform

  • Im Juni 2025 hat der Rat der EU-Verkehrsminister einem Vorschlag zur Reform der europäischen Fluggastrechte zugestimmt, der die Rechte, wie sie die bisherige Rechtsgrundlage (Verordnung (EU) Nr. 261/2004) vorsieht, stark zu Lasten der Passagiere abschwächen würde. Wenn das Europaparlament die Änderungen im Winter 2025 akzeptiert, würde dies Millionen Reisende ab Inkrafttreten im späteren Jahreslauf 2026 deutlich benachteiligen. Außerdem würde der bisherige Anreiz für die Flugunternehmen verringert werden, ihrerseits verlässliche Leistungen zu erbringen.
  • Kernpunkte der Reform: künftig sollen Entschädigungen bei Flugausfällen und Verspätungen erst ab vier Stunden auf Kurz- und Mittelstrecken und ab sechs Stunden auf Langstrecken gezahlt werden – bisher galt ein Anspruch ab drei Stunden Verspätung.
  • Die Pauschalbeträge der Entschädigungen werden für Flüge bis 3.500 km auf einheitlich 300 Euro und für Langstreckenflüge auf 500 Euro reduziert (bislang sind bis zu 600 Euro möglich).
  • Das Europäische Parlament lehnte den Vorschlag Mitte Oktober 2025 ab, weitere Verhandlungen (über die dänische Ratspräsidentschaft) dauern jedenfalls bis Mitte Dezember, evtl. bis Mitte Januar 2026.

Weitere Neuigkeiten und aktuelle Rechtsprechung

Die EU-Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) ist seit 2005 das wichtigste Regelwerk, das die Rechte von Flugreisenden innerhalb der EU schützt. Sie regelt Entschädigungen, Betreuungsleistungen und Informationspflichten bei Annullierungen, Verspätungen und Nichtbeförderungen. Die Verordnung hat die Position der Fluggäste deutlich gestärkt und den Druck auf pünktliche Flugbewegungen erhöht.

Bislang sieht die Verordnung Entschädigungen von bis zu 600 Euro für Verspätungen von mindestens drei Stunden oder Annullierungen vor. Die Entschädigungshöhen sind gestaffelt nach Flugstrecken:

  • Bis 1.500 km: 250 Euro

  • 1.500 bis 3.500 km (innerhalb der EU oder außereuropäisch): 400 Euro

  • Über 3.500 km: 600 Euro

Bei Verspätungen ab drei Stunden am Zielort hat der Fluggast Anspruch auf diese Ausgleichszahlung, es sei denn, die Verspätung ist auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen.

Ferner haben Passagiere Anspruch auf Betreuungsleistungen wie Mahlzeiten, Erfrischungen, Telefonate und gegebenenfalls Hotelunterbringung.

Seit langer Zeit versucht die Luftfahrtindustrie die verbraucherschützenden Regelungen durch eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben aufzuweichen. Der von der Kommission 2013 eingebrachte Vorschlag blieb lange Zeit unberücksichtigt, bis der Rat der EU-Verkehrsminister am 5. Juni 2025 eine politische Einigung über die Reform erzielt hatte. Die wichtigsten Änderungen in jenem Vorschlag würden bedeuten:

  • Die Schwellenzeit für Entschädigungsansprüche bei Verspätungen wird angehoben:

    • Für Flüge bis 3.500 km und alle Intra-EU Flüge: von 3 auf 4 Stunden

    • Für Flüge über 3.500 km: auf 6 Stunden

  • Die Entschädigungssummen werden bei Langstreckenflügen reduziert, auf 500 Euro. Für Flüge bis 3.500 km und alle Intra-EU Flüge auf 300 Euro festgesetzt.

  • Die Betreuungs- und Informationspflichten der Airlines werden verbessert und verpflichtend digitalisiert.

  • Die Rechte bei multimodalen Reisen (Kombinationen von Flug, Bahn und Bus unter einem Ticket) werden ausgeweitet und vereinheitlicht. Bislang ist die Zugfahrt nicht vom Entschädigungsanspruch umfasst bei einer Reise, die sowohl einen Transport per Zug als auch per Flugzeug einschließt. Das soll sich nun ändern.

  • Einführung eines einheitlichen, digitalen Beschwerde- und Rückerstattungsprozesses, der den Passagieren eine schnellere Bearbeitung ermöglichen soll. Dies könnte den Zugang zur Erstattung niederschwelliger und rechtssicherer gestalten.

  • Eine verbindliche Liste außergewöhnlicher Umstände wird eingeführt, die Airlines von der Pflicht zur Entschädigung befreit, darunter Naturkatastrophen, Terrorattacken oder unerwartete technische Probleme, die unvermeidbar sind.

Das Europäische Parlament hat den Entwurf im Herbst 2025 nicht angenommen, sondern bereitet einen Entwurf zur zweiten Lesung vor.

 

 

Der vom Rat verabschiedete Entwurf würde einige der zentralen Verbraucherschutz-Regelungen verändern und zu einem Verlust von 80-90 % der Ausgleichsleistungen der Passagiere bzw. ebensolcher Einsparungen aufseiten der Fluglinien führen. Bei Umsetzung der Reform (in der Version des Rates) hätten Passagiere höhere materielle Hürden zur Geltendmachung von Ausgleichszahlungen zu überwinden, die zudem finanziell kleiner ausfallen würden. Gleichzeitig könnte die Reform (effizient umgesetzt) dazu führen, dass digitalisierte Verfahren die Risiken und den Aufwand bei der Durchsetzung der Passagierrechte verringern würden. Passagiere müssten dann nicht einen Teil Ihres Anspruchs an Portale abtreten. Andererseits wird es immer noch strittige Ansprüche geben, mit denen sich Gerichte zu befassen haben werden.

Insgesamt orientiert sich die vom Rat verabschiedete Reform zu stark an den wirtschaftlichen Interessen der Fluggesellschaften. Angemessener wäre es auf Basis der seit 2005 gesammelten Erfahrungen die Rechte der Passagiere materiell und prozedural zu stärken.

Zum Beispiel wäre eine Erhöhung der Beträge pauschaler Ausgleichszahlungen bereits wegen den Kaufkraftverlust seit der Fixierung im Jahr 2005 geboten (250 Euro entsprächen heute etwa 400 Euro, 400 Euro entsprächen 550 Euro und 600 Euro entsprächen 890 Euro), um den kompensatorische Zweck der Verordnung aufrechtzuerhalten. Eine Anspruchsverringerung setzt umgekehrt den finanziellen Anreiz für Airlines herab, Verspätung und Ausfall zu vermeiden. Je nach Einbeziehung solcher nutzenmaximierender Überlegungen könnte sich der Service für Passagiere also auch verringern.

Eine gelungene Reform sollte zudem Maßnahmen einbeziehen, die eine Verzerrung des Wettbewerbs durch eine Besserstellung nicht-europäischer Airlines wirksam verhindert.

Zwei Passagiere waren mit 22-stündiger Verspätung von Teneriffa nach Warschau gereist. Die Fluggesellschaft lehnte den Entschädigungsanspruch abgelehnt, da die Tickets über einen Reiseveranstalter gebucht wurden. Der EuGH entschied zugunsten der Passagiere, dass ein Fluggast, der über eine Bordkarte verfügt, damit eine „bestätigte Buchung“ für den betreffenden Flug hat, wenn kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen wird. Zudem darf eine Fluglinie nicht dem Fluggast entgegenhalten, dass er kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, reisend gilt, wenn zum einen das Reiseunternehmen den Flugpreis an das ausführende Luftfahrtunternehmen zu marktüblichen Bedingungen zahlt und zum anderen der Preis für die Pauschalreise nicht vom Fluggast, sondern von einem Dritten an das Reiseunternehmen gezahlt wird.

EuGH, Urteil in Rs. C-20/24, Cymdek, vom 6. März 2025

FW buchte bei Latam Airlines Hin- und Rückflüge zwischen Frankfurt am Main und Madrid. Nach erfolglosem Check In Versuch teilte die Fluglinie der Klägerin FW daraufhin mit, dass sie sie – einseitig und ohne sie davon zuvor zu unterrichten – auf einen früheren Flug am Vortag des Check In umgebucht habe. Zugleich setzte Latam Airlines FW davon in Kenntnis, dass sie wegen des Nichtantritts ihres Hinflugs für den Rückflug gesperrt worden sei.

Der EuGH entschied, dass Fluggesellschaften Ausgleichszahlungen leisten müssen, wenn Fluggäste im Voraus über eine vom Luftverkehrsunternehmen angedrohte Nichtbeförderung trotz bestätigter Buchung unterrichtet wurden, auch wenn sich die Passagiere nicht am Gate einfinden. Im konkret verhandelten Fall ging es um eine Praxis sogenannter „No-Show-Klauseln“, wonach Fluggäste, die ihren Hinflug nicht antreten, auch auf dem Rückflug nicht befördert werden. Das Gericht stellte klar, dass ein Luftfahrtunternehmen nur dann berechtigt ist, die Beförderung zu verweigern, wenn dies triftige Gründe besitzt (z. B. Sicherheit oder fehlende Reiseunterlagen). Da der Grund für die Nichtbeförderung dem Fluggast nicht zuzuschreiben war, bestand Anspruch auf Ausgleichszahlung.

EuGH Urteil in Rs. C-238/22, FW v Latam, vom 26.10.2023

 

In einem weiteren Urteil entschied der EuGH, dass für die Berechnung der Dauer einer Flugverspätungen und der daraus folgenden Entschädigung die ursprünglich geplante Ankunftszeit, die bei Buchung galt. Kurzfristige Änderungen der Fluggesellschaften hätten sonst eine Reduzierung von Entschädigungsansprüchen zur Folge.

Laut Buchungsbestätigung bei Corendon Airlines sollten die Passagiere einen Flug ab München um 10:20 Uhr nach Antalya mit Ankunft um 14:20 Uhr erhalten. Am Vortrag ihres Abflugs wurde vom Veranstalter eine neue Buchungsbestätigung für diesen Flug ausgestellt, in der angegeben war, dass die geplante Abflugzeit des Flugs auf 11:20 Uhr verschoben werde, was zu einer Verschiebung der Ankunftszeit auf 15:20 Uhr führe. Der Abflug fand dann um 14.37 Uhr statt und die Fluggäste erreichten ihren Zielort schließlich um 18:16 Uhr. Maßgeblich war also die Spanne zwischen 14:20 Uhr (gebucht) und tatsächlicher Ankunft um 18:16 Uhr (Türöffnung in Antalya).

Eine „Verspätung“ eines Fluges liegt vor, wenn ein Flug entsprechend der ursprünglichen Planung durchgeführt wird, sich die tatsächliche Abflugzeit aber gegenüber der ursprünglich geplanten Abflugzeit verzögert (Sturgeon u. a., C-402/07 und C-432/07, EU:C:2009:716, Rn. 32).

Der herkömmlichen Bedeutung der Begriffe dieser Verordnung und ihrer Systematik liefe es zuwider, die bloße Verschiebung der tatsächlichen Abflugzeit eines ansonsten unveränderten Fluges als „Annullierung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. l der Verordnung einzustufen (Corendon Airlines, C-395/20, EU:C:2021:1041, Rn. 22).

Die Verordnung Nr. 261/2004 macht die Einstufung als „annullierter“ Flug im Sinne ihres Art. 5 oder als „verspäteter“ Flug im Sinne ihres Art. 6 nicht von der bloßen vorherigen Ankündigung der Abflugzeit abhängig (Corendon Airlines, C-395/20, EU:C:2021:1041, Rn. 21).

EuGH, Rs. C-558/24, Corendon v Myflyright

WY buchte bei Ryanair einen Flug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca und zurück. Nachdem dieser Fluggast von Laudamotion, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, darüber informiert worden war, dass sich der Hinflug um sechs Stunden verspäten werde, buchte er selbst einen Ersatzflug, um einen Geschäftstermin wahrzunehmen, der in Palma de Mallorca stattfinden sollte. Dank dieses Ersatzflugs erreichte er sein Ziel schließlich mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglichen Fluges. Der Fluggast verlangte von Laudamotion eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro.

Der EuGH präzisiert die Definition einer Flugannullierung im Vergleich zu großen Verspätungen. Ein Flug gilt als annulliert, wenn die ursprüngliche Flugplanung im Wesentlichen aufgegeben wurde (etwa Verlegung um mehr als 24 Stunden). Eine bloße Verschiebung der Abflugzeit um weniger als drei Stunden stellt dagegen keine Annullierung dar. In einem Fall mit einer Verlegung um über 24 Stunden entschied das Gericht, dass trotz Beibehaltung der Flugnummer und Flugroute der Flug als annulliert einzustufen ist.

Der entscheidende Gesichtspunkt, der den Gerichtshof dazu veranlasst hat, die große Verspätung eines Fluges bei der Ankunft mit der Annullierung eines Fluges gleichzusetzen, besteht darin, dass die Fluggäste eines Fluges mit großer Verspätung ebenso wie die Fluggäste eines annullierten Fluges einen Schaden erleiden, der in einem irreversiblen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr besteht und der nur durch eine Ausgleichszahlung ersetzt werden kann (Rs. Sturgeon u. a., C-402/07 und C-432/07, EU:C:2009:716, Rn. 52, 53 und Nelson, Rs. C-581/10 und C-629/10, EU:C:2012:657, Rn. 54, und Rs. Finnair, C-832/18, EU:C:2020:204, Rn. 23). Im Fall der Annullierung eines Fluges oder einer großen Verspätung eines Fluges bei der Ankunft an seinem Endziel ist der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene Ausgleichsanspruch somit untrennbar mit dem Vorliegen dieses Zeitverlusts von drei Stunden oder mehr verbunden.

Ein Fluggast, der wegen drohender großer Verspätung des Fluges, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, bei der Ankunft am Endziel oder wegen hinreichender Anhaltspunkte für eine solche Verspätung selbst einen Ersatzflug gebucht hat und das Endziel mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit des ersten Fluges erreicht hat, keinen Ausgleichsanspruch im Sinne dieser Bestimmungen haben kann.

EuGH, Rs. C-54/23, WY vs Laudamotion und Ryanair vom 25/01/2024

Ein Fluggast verfügte über eine bestätigte Buchung bei Laudamotion für einen für den geplanten Flug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca. Da der Fluggast der Meinung war, dass er aufgrund der angekündigten Verspätung des Fluges einen Geschäftstermin verpassen würde, entschied er sich, den Flug nicht anzutreten. Dieser erreichte den Zielort mit drei Stunden und 32 Minuten Verspätung.

Der EuGH stellt klar, dass bei einer Ankunftsverspätung von drei oder mehr Stunden die Fluggäste Anspruch auf eine Ausgleichszahlung haben, vergleichbar mit einem annullierten Flug. Dem Urteil zufolge erleiden Fluggäste bei großen Verspätungen denselben irreversiblen Zeitverlust wie bei Annullierungen. Um die Ausgleichzahlung für einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit zu erhalten, muss sich der Fluggast rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden haben muss oder, wenn er sich bereits online registriert hat, sich rechtzeitig am Flughafen bei einem Vertreter des ausführenden Luftfahrtunternehmens eingefunden haben.

EuGH Urteil zu Rs. C-474/22, Laudamotion vs. flightright vom 25.01.2024